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Quelle:
http://m.faz.net/aktuell/gesellschaft/schlagende-verbindungen-die-den-kopf-hinhalten-12653226.html
Gesellschaft
Schlagende Verbindungen
Die den Kopf hinhalten
Von Alwin Kuiken
08.11.2013 • Gut 4000 Studenten fechten jedes Jahr eine Mensur. Das Antreten auf blanke Waffen findet nicht öffentlich statt. Zwei Corps in Erlangen machen eine Ausnahme.
Mensuur
© Willem Sluyterman van Loo
Ein letzter Moment der Ruhe: Reinier van Ramshorst (Mitte) mit seinem Sekundanten Ferdinand Freiherr von Lindenfels (rechts)
Fertig? Hoch bitte! – Los!“, hallt es durch den Keller des Corps Baruthia Erlangen. Das „Los“ ist noch nicht verklungen, da treffen sich schon die Schläger. Sebastian Herold, 24, Maschinenbaustudent, nimmt es mit Reinier van Ramshorst auf, 27 und Student der Amerikanistik und Anglistik. Beide sind durch eine gepolsterte Weste, ein Kevlarband um den Nacken und einen Helm auf ihrem Kopf geschützt. Noch ist es nur die Generalprobe.
Der Niederländer van Ramshorst und sein Corpsbruder Herold trainieren für eine Mensur, eine jahrhundertealte Tradition, bei der Studenten mit scharfen Klingen fechten. Sie tragen dann nur eine Stahlbrille mit Nasenschutz und Lederriemen über den Gehörgängen. Baruthia Erlangen, 1803 gegründet, fordert von seinen Mitgliedern fünf Mensuren auf blanke Waffen. Zwei Partien machen aus einem Fuchsen einen Corpsburschen, nach der fünften Mensur wird er ein inaktiver Corpsbursch, nach dem Studium ist er Alter Herr. Alle fünf Mensuren müssen ziehen, das heißt, sie müssen technisch dem vorgeschriebenen Comment und moralisch den Anforderungen der Corpsbrüder genügen.
In Erlangen wird noch tief gefochten
Manche Corpsstudenten, wie auch van Ramshorst, der schon einmal auf der Wange getroffen wurde, sind an ihren Schmissen zu erkennen. Obwohl die Mensur einen archaischen Ruf hat, gibt es in Europa noch mehr als 400 fechtende Studentenverbindungen: 376 in Deutschland, einige Dutzend in Österreich, 13 in der Schweiz, eine in Lettland, eine in Ungarn und eine im flämischen Löwen. Mit ungefähr 25.000 Mitgliedern stellen die 160 Corps die größte Gruppe, etwa 1.500 ihrer Mitglieder sind aktiv und fechten Mensuren. Hinzu kommen 120 Burschenschaften, 89 Landsmannschaften und 25 Turnerschaften.
Gefochten wird in den meisten Universitätsstädten mit dem Korbschläger, einer Waffe ohne Spitze. Der Abstand der Paukanten, die Mensur, ist so gewählt, dass sie nicht zustechen, sondern über Kopf nur zuschlagen können. Handschutz ist ein Drahtkorb. Meist kreuzen sich die Klingen in der Luft, oder die Klinge schlägt auf Korb und gepolsterten Schlagarm des Gegenpaukanten ein, wenn er in der „verhängten Auslage“ steht. Vor dem Gesetz gilt das Mensurfechten seit den Fünfzigern weder als Duell, noch ist es ein Sport. Da es nicht um Leben und Tod geht und ernsthafte Verletzungen so gut wie ausgeschlossen sind, zudem beide Seiten ihre Einwilligung zur Mensur gegeben haben, ist sie höchstrichterlich auch nicht verboten.
Fast nirgendwo wird härter gefochten als in Erlangen. Die Studenten trainieren jeden Tag eine Stunde. Während in einigen Universitätsstädten nach Comment ein Treffer unter dem Brillenriemen verboten ist, wird in Erlangen noch „tief“ gefochten. Auch die Wangen sind Trefferfläche.
Muttersöhnchen und Opportunisten ausfiltern
Reinier van Ramshorst tritt auf Mensur gegen Germar Seebauer von Onoldia Erlangen an, einem der ältesten Corps in Deutschland (gegründet 1798). Van Ramshorst wollte gerne noch einmal fechten, Seebauer brachte sich selbst ins Spiel: Bei Onoldia war der 23 Jahre alte angehende Jurist als Consenior fürs Fechten verantwortlich. Mit bislang sieben Mensuren hat van Ramshorst mehr Erfahrung als Seebauer, der seine fünfte Partie fechten wird.
Das letzte Training vor der Mensur hat begonnen. Im Schatten einer Tanne kreuzt van Ramshorst seinen Schläger mit dem kleineren Janick Meyer. So richtig fit ist der 1,94 Meter große Niederländer noch nicht. Um den Größenunterschied auszugleichen, steht Meyer auf einem Holzbrett. Weil eine Mensur nach 30 Gängen beendet ist, kann es passieren, dass beide Paukanten ohne Verletzung bleiben. Aber die überwiegende Mehrheit der Mensuren endet zumindest in Erlangen mit einem Treffer, meist ein oberflächlicher Schnitt, der zwar blutet, aber auch direkt genäht wird.
Warum gefochten wird? Die Mensur sei Teil der Persönlichkeitsbildung, heißt es. Der Paukant muss technisch sauber fechten, darüber stimmen die eigenen Corpsbrüder ab, dafür muss er Disziplin aufbringen. Bei der Mensur geht es auch darum, nicht zurückzuweichen, die Partie trotz der Möglichkeit, verletzt zu werden, ohne äußeres Anzeichen von Furcht durchzustehen. Kurz: Der Paukant soll „Moral“ zeigen. Aber die Mensur sei nicht nur da, um die Nerven zu stählen, sagen die Bayreuther, wie die Corpsmitglieder der Baruthia genannt werden. Sie diene auch dazu, „Mitläufer, Muttersöhnchen und Opportunisten auszufiltern“. Da es sich um eine Extremsituation handele, festige die gemeinschaftliche Erfahrung der Corpsbrüder das „Band für das Leben“.
Von sich aus sagt der Richter nichts
Bevor die Mensur beginnt, begehen die Mitglieder der Baruthia Erlangen ein Ritual. Vor dem Porträt des Gründers Gottlieb Friedrich Ferdinand Keim (1783 bis 1868), er war Mitglied der Frankfurter Nationalversammlung, versucht der Paukant, mit einem Sektkorken ein Kuhhorn an der Decke zu treffen. Der Versuch scheitert wie fast immer, aber die Stimmung ist ausgelassen. Die Studenten wünschen van Ramshorst Waffenschwein (Glück). Viele von ihnen tragen das schwarz-gold-grüne Band der Verbindung mit getrocknetem Blut von ihren eigenen Mensuren um die Brust.
Van Ramshorst wird von einem Sekundanten, einem Schlepper und einem Testanten unterstützt. Der Sekundant ist von Kopf bis Fuß geschützt und kann mit einem Schläger mit stumpfer Klinge zwischen die Paukanten springen, wenn einer der beiden sich verschlägt oder die Gefahr besteht, dass der eigene Mann verletzt wird. Beide Sekundanten fallen ein, wenn ein Gang mit jeweils vier Hieben vorbei ist. Sie können auch Regelverstöße beim Unparteiischen anzeigen, der ein erfahrenes Mitglied einer dritten Verbindung ist. Von sich aus sagt er nichts. Er ist nur Richter im Fall einer Beschwerde. Der Schlepper hält in den Pausen den Arm des Fechters auf dessen Brusthöhe, um die Muskeln zu entlasten, und gibt Fechtanweisungen. Um einer Infektion der Wunde vorzubeugen, desinfiziert der Testant nach jedem Gang die Klinge.
Auch der Arzt trägt sein Band
Van Ramshorst zieht das Kettenhemd an, eine Bandage aus Kevlar wird um den Hals befestigt. Van Ramshorst ist nervös, sein Sekundant, Ferdinand Freiherr von Lindenfels, weicht nicht von seiner Seite. Van Ramshorst hält still, als das Kettenhemd über seinen Kopf gezogen wird. „Wenn du dort stehst, wo er jetzt steht, hörst du dein Herz schlagen“, sagt von Lindenfels. „Man fühlt, wie sich der Magen zusammenzieht. So viel Adrenalin geht einem durch den Körper.“
Germar Seebauer steht bereits auf einem Holzbrett, um den Größenunterschied zu kompensieren. Van Ramshorst trägt die Bänder seiner beiden Verbindungen, Corps Baruthia Erlangen und Corps Flaminea Leuven, über dem Kettenhemd. Die Spektanten tragen zum dunklen Anzug Krawatte und ihr zwei- oder dreifarbiges Band in den jeweiligen Farben. Der extra angereiste Arzt, ebenfalls mit Band, steht bereit. Die Partie endet, wenn einer der Paukanten einen Fehler macht, wenn die maximale Anzahl der Gänge erreicht ist oder es einer der beiden Ärzte anordnet. Zwischen den Spektanten steht auch Rachad Amadouh-Bah, ein Student aus Togo in Westafrika. Er hat einen Schmiss, der von seinem linken Mundwinkel in Richtung Ohr verläuft. Seebauer hat ihn während seiner letzten Mensur getroffen.
Schwäche ist nicht erlaubt
„Silentium“, ruft von Lindenfels, bevor er „meinen Corpsbruder van Ramshorst“ und „Herrn Seebauer“ ankündigt. Die Türen werden geschlossen. Dann wird der Abstand zwischen den beiden genommen, es ist genau die Länge eines Schlägers. Fechtmeister Gottfried Halvorsen, ein gebürtiger Amerikaner, der vielen Corpsstudenten das Fechten beibringt, flüstert: „Erfahrung und Kraft trifft auf Technik und Finesse.“
„Fertig? Hoch bitte! – Los!“, ruft von Lindenfels und duckt sich nach unten weg, um seinen Paukanten beim Abpendeln der Klinge nicht zu behindern. Nichts ist zu hören außer dem Klang der Schläger. Die Klingen kreuzen sich, die Paukanten halten ihre linke Hand hinter dem Rücken. Eins, zwei, drei Schläge, eine Finte. Dann springen die Sekundanten dazwischen. Das Tempo zieht an. Ein Gang folgt dem anderen: „Hoch bitte! – Los! – Halt!“
Plötzlich wird getuschelt. Seebauer soll seinen Kopf im Gang bewegt haben, ein kapitaler Fehler. Selbst wenn man seine Deckung verloren hat und die scharfe Klinge auf einen zukommen sieht, darf man sich nicht wegducken. Schwäche ist nicht erlaubt. Wer seinen Kopf bewegt, muss eine zusätzliche Partie fechten – zur Reinigung. Demokratisch wird von allen Mitgliedern des Bundes entschieden, ob „gemuckt“ wurde. Die Ansbacher, wie die Mitglieder der Onoldia genannt werden, ziehen sich kurz zurück, die Mensur wird fortgesetzt.
Einladung zu einem Bierjungen
Dann passiert es. Die Stirn von Seebauer färbt sich rot. Die Klinge hat sich leicht unter die Haut geschoben, ein Läppchen hängt lose. Blut läuft seine Wange hinunter und tropft auf den Boden. Seebauer schweigt. Sein Blick bleibt stoisch. Der Arzt beendet die Partie, durch einen weiteren Treffer könnte das Läppchen abgeschlagen werden. Niemand klatscht, niemand jubelt.
Seebauer geht mit dem Arzt zum Nähen. Die ersten Bayreuther reichen van Ramshorst die Hand, um ihm zur gelungenen Mensur zu gratulieren. Er darf sich als Sieger fühlen. Offiziell aber gibt es keinen Sieger und keinen Besiegten. Van Ramshorst ist zufrieden. Er hat gut gefochten, und er hat den anderen nicht ernsthaft verletzt. Es war seine letzte Mensur. Nach acht Mal, so meint er, ist es genug.
Seebauer kommt nach 20 Minuten zurück – genäht und verbunden. Er reicht van Ramshorst die Hand und lädt ihn, wie es Tradition ist, zu einem Bierjungen ein. Der auch Biermensur genannte Trinkwettkampf soll einst als Parodie auf die studentische Mensur entstanden sein. Die beiden stürzen zwei halbe Liter hinunter, und wieder gibt es keinen echten Sieger. Das Duell geht „a tempo“ aus, unentschieden.