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Das Undenkbare denken

Anforderungen an das Ethos der Offiziere im Generalstabs-/Admiralstabsdienst

 von Gerhard Stöhr


Einleitung

Diese Abhandlung ist kein wissenschaftliches Werk, obgleich sie naturgemäß Grundlagen beschreibt und Folgerungen ableitet. Sie enthält die persönliche Sicht eines Angehörigen der Rechtspflege der Bundeswehr, der als Zeitsoldat gedient hat, den Rang eines Stabsoffiziers der Reserve führt und seit 16 Jahren als höherer Beamter in den Streitkräften eingesetzt ist.

Folgende Prämisse macht sie zur Streitschrift: Die Behauptung, dass der Generalstabsoffizier keine bloße Verwendungsform darstellt, sondern einen Typus beschreibt.
Und mehr noch: Ein Lebensprinzip, dessen Ausprägung bereits die Grundlage für die Auswahl für eine Verwendung im Generals-/Admiralstabsdienst bilden sollte und sich in seinem Wertekern bis zum Lebensende fortsetzt.

Den Vertretern eines rein funktionalen Verständnisses staatlicher Verwendungen muss schon formal entgegengehalten werden, dass die öffentlichen Ämter nach der Verfassung ausschließlich aufgrund Eignung, Befähigung und Leistung vergeben werden dürfen, wobei Charakter und Sozialkompetenz als Eignungskriterien bereits bei der Einstellung von Bewerbern bis heute einen hohen Stellenwert aufweisen. Amtsbezeichnungen wie Ränge überdauern nach dem Gesetz die aktive Dienstzeit und dürfen noch im Tode geführt werden.

Nach allgemeinem Verständnis beschreibt der Begriff Ethos die Substanz der moralisch bestimmten Verhaltensweisen, eine das Individuum prägende Lebensgewohnheit, objektiv definierbar als Sitte oder auch Brauchtum, subjektiv als Charakter, mithin den Innbegriff gelebter Überzeugungen.

Wer mögliche Anforderungen an den „Charakter“ eines General-/Admiralstabsoffiziers formulieren will, muss mit den Rahmenbedingungen des Arbeitsumfeldes beginnen, für den dieser Typus im Grunde geschaffen ist, als Angehöriger der militärischen Führungsspitze der Bundeswehr.


 

Notstandsrecht und Güterabwägung

Die Sicherheitsorgane eines Staates sind dadurch gekennzeichnet, dass ihre Verwendung auf den Notstandsfall hin ausgerichtet ist. Nicht der gesetzmäßige Normalzustand, sondern das Fehlen des rechtsstaatlich gewollten Zustandes beschreibt das Umfeld ihres Einsatzes.

Innerhalb der exekutiven Aufgabenverteilung haben die Streitkräfte den Auftrag, die für den Staat insgesamt, sein Territorium, seine Bürger und seine Staatsgewalt existenzbedrohenden Gefahren abzuwehren. Ihre Zweckbestimmung liegt dort, wo andere Mittel staatlichen Zwanges zur Gefahrenabwehr nicht ausgereicht haben. Die Anwendung militärischer Gewalt bedeutet deshalb systemgemäß, dass nunmehr Mittel tödlicher Gewalt zum Einsatz kommen.

Das Notstandsrecht geht von dem Grundsatz aus, dass zur Herstellung von Sicherheit und Ordnung immer dort Rechtsgüter verletzt werden müssen und dürfen, wo absolute Werte mit anderen Mitteln nicht geschützt werden können. Das Recht muss und darf dem Unrecht nicht weichen! Der rechtswidrige Angreifer verliert stets sein Recht. Und generell gilt: Der Schutz höherer Werte rechtfertigt die Verletzung von niedrigeren. So im klassischen Fall eines Helfers, der das Fahrzeugfenster einschlägt, um den vom Hitzetod bedrohten Hund zu retten. Genau diese Güterabwägung macht die Tragik jedes Handelns bei Notständen aus.

Dies um so mehr, wenn nicht „Jedermann“, sondern der dem Schutz der Grundrechte aller Bürger verpflichtete Staat mit seinen an den Rechtsstaat durch einen Eid gebundenen Organen gezwungen ist, die Entscheidung darüber zu treffen hat, welche Rechtsgüter welchen höheren Werten weichen müssen. Und dies in einem Spannungsfeld, das immerwährend von Politik und Öffentlicher Meinung beeinflusst wird. Deshalb bleibt zwingendes Kennzeichen funktionierender staatlicher Aufgabenwahrnehmung das Vorhandensein einer Hierarchie von Entscheidungsträgern, die eine Legitimationskette bis hin zum Gesetzgeber und damit in Demokratien schlussendlich wieder bis auf den Souverän, das Volk, zurück erzeugt.

Der Rechtsstaat verlangt deshalb als wesentliches Prinzip des Ordnungsrechts, daß stets ein Wille der übergeordneten Führung vorhanden sein muß. Es ist hoheitliche Gewalt, und eben nicht Eigenmacht, wenn Staatsorgane vor Ort Zwangsmaßnahmen vornehmen.


 

Das Vorschriftenwesen

Leider stellt sich jedoch „übergeordnete Führung“ heutzutage oftmals wenig lagebezogen dar.

Im Kern geht die Problematik vom Glauben der politischen Entscheidungsträger auch innerhalb der Ministerien aus, jegliche Gefahr von vorneherein durch die Formulierung allgemeiner Regelungen abwenden zu können. Eine Dialektik mit Folgen: Da die Gefahr ja durch eine Vorschrift gebannt worden ist, bedarf es auch keiner Vorkehrungen mehr für den Fall, dass sich die Gefahr jemals realisieren könnte. Tritt dennoch eine Gefahrenlage ein, hat es an einer entsprechenden, diese vermeidenden Regelung gefehlt. Ein Missstand, der natürlich umgehend behoben werden muss!

Vorschriftenwut und Vorschriftengläubigkeit sind die überall gegenwärtigen Kennzeichen der Sicherheitspolitik auf allen Ebenen staatlichen Handelns geworden. Die auf Bundesebene nahezu unübertroffene Neigung gerade des Verteidigungsministeriums zur vorrangigen Problembeseitigung mittels Dienstvorschriften korrespondiert dabei mit der dritten, verhängnisvoll falschen Schlussfolgerung, Fehler könnten durch die Befolgung von Vorschriften vermieden werden.

Wohin dies führt, lässt sich an vielen Beispielen aus dem Auslandseinsatz der Bundeswehr in Afghanistan verfolgen. Bundesweit bekannt geworden ist die anfängliche Entscheidung der Führung vor Ort, dem vorschriftgemäßen Erfordernis einer Abgassonderuntersuchung für die Fahrzeuge den Vorrang vor der Auftragserfüllung mittels Einsatz von nicht untersuchten Fahrzeugen zu geben. Schon etwas problematischer ist der Fall zu bewerten, in welchem Soldaten unter Hinweis auf die entsprechenden technischen Dienstvorschriften verboten wurde, sich mittels Anbringen von Schutzgittern an den Windschutzscheiben vor Steinwurf zu schützen. Der Hinweis, damit würde die Sicherheit der Soldaten erhöht, blieb vor dem Argument „Die Vorschrift lässt keine Ausnahmen zu“ erfolglos.

Dass der uralte Leitspruch „Vorschriften sind für Offiziere nicht gemacht – Offiziere machen Vorschriften“ offensichtlich in Vergessenheit geraten ist, macht deutlich, dass ein Bedarf an Entscheidungsträgern besteht, die in der Lage sind, eine Güterabwägung so zu treffen, wie es das Grundgesetz vorsieht, um dem ranghöheren Wert Geltung zu verschaffen. Oder die den Rang der Werte „Einsatzbereitschaft der Truppe“ und „Recht auf körperliche Unversehrtheit der unterstellten Soldaten“ richtig einordnen können.

Und mehr noch: es bedarf einer höheren Führung, die auf die Fähigkeiten der Truppe vertraut, sich auf die Formulierung ihrer Zielvorgaben in Auftragsform beschränkt und ihre Absicht so klar formuliert, dass der Führer vor Ort die Prämissen für seine Lagebeurteilung stringent daraus ableiten kann.


 

Der Soldat

Im siebten Jahrzehnt nach dem Zweiten Weltkrieg und zwanzig Jahre nach der friedlichen Wiedervereinigung ihres Vaterlandes können sich die Deutschen kaum noch vorstellen, dass ihr Glück und ihr Gemeinwesen jemals wieder durch eine Katastrophe existenzbedrohender Art gefährdet werden könnten. Dabei würde schon die Fallanalyse eines strengen Winters mit mehreren Wochen ohne Stromversorgung genügen, um zu dem Ergebnis zu gelangen, dass praktisch augenblicklich der Zusammenbruch der wichtigsten Transport-, Versorgungs- und Kommunikationswege und damit eine Katastrophe mit einer Vielzahl von Toten, Kranken und Hilfsbedürftigen eintreten würde. Allein die Vorstellung, dass die Banken und damit der elektronische Zahlungsverkehr für eine längere Zeit ausfallen könnten, lässt erahnen, wie schwierig der Kauf von Lebensmitteln werden und wie bald mit Plünderungen bei den knapper werdenden Gütern zu rechnen sein würde.

Wie sieht nun der Mensch aus, der in dieser Lage sein familiäres Umfeld verlässt und sich aufmacht, um in grimmiger Kälte und angesichts überall gegenwärtiger Gefahrenlagen das Schlimmste zu verhindern und die letalen staatlichen Systeme wieder in Gang zu bringen. Und das, obwohl er noch nicht einmal damit rechnen kann, sein Gehalt überwiesen zu bekommen…

„Staat und Soldat sind durch ein System gegenseitiger Treue miteinander verbunden“, formuliert das Soldatengesetz und beschreibt damit die Erwartung der Republik an ihre Soldaten, dem Ruf ihrer Vorgesetzten in einer solchen Situation ohne Zögern zu folgen und mehr noch, dabei ganz konkret Gefahren für das eigene Leben in Kauf zu nehmen.
Diese höchste Form der Treue, die Tugend der Tapferkeit, ist es, die den Soldaten systemgemäß von allen anderen Personen, auch vom Polizisten unterscheidet. Und die ein scheinbares Paradoxon formuliert, dem jeder Führer, insbesondere aber die Verantwortlichen der höchsten Führungsebenen in besonderem Maße ausgesetzt sind: Nämlich denjenigen in Gefahrenlagen bringen zu müssen, für dessen Leben er als fürsorglicher Vorgesetzter und Kamerad kraft Gesetzes zugleich Garant ist.

Wo immer in Afghanistan eine Patrouille auf den Weg geschickt wird, bedeutet dies Inkaufnahme realer Lebensgefahr für die eingesetzten Soldaten durch seinen Staat, die nur gerechtfertigt werden kann durch einen mit diesem Auftrag verteidigten höheren Wert. Der Soldat im Fahrzeug muss jederzeit darauf vertrauen können, dass diese Güterabwägung immerwährend Gegenstand der Operationsplanung ist – und der militärische Führer vermittelt diese Verantwortung schlussendlich an das Primat der Politik. Auch in diesem Sinne muss das Versprechen von Altbundeskanzler Helmut Schmidt anlässlich der Rekrutenvereidigung im Juli 2008 vor dem Berliner Reichstag verstanden werden: Deutsche Soldaten können sich darauf verlassen, dass sie von ihrem Staat und damit von ihrer höheren Führung niemals missbraucht werden!


 

Das Laufbahnsystem

Den Leitbildern eines nach Bildungsstand geschichteten Führungssystems folgend wurde bereits im vorvergangenen Jahrhundert für die Beamten ein vierstufiges Laufbahnsystem geschaffen, an welchem sich bis heute die Laufbahnen der Soldaten grundsätzlich orientieren.

Es reicht vom sog. „Einfachen Dienst“ (@ Mannschaften), der sich regelmäßig aus angelernten und unter Aufsicht Handelnden kraft Weisung zusammensetzt, über den sog. „Mittleren Dienst“ (@ Unteroffiziere) mit dem bereits im eigenständigen Verwaltungshandeln ausgebildeten und auf die Befolgung von Vorschriften hin ausgerichteten Sachbearbeiter zum sog. „Gehobenen Dienst“ (@ Offiziere) als erster eigentlicher Entscheidungsebene mit dem grundsätzlich akademisch gebildeten und vorrangig dem Gesetz verpflichteten Vorgesetzten bis hin zum sog „Höheren Dienst“ (@ Stabsoffiziere), welchem die regelmäßig mit einem zweitem Staatsexamen ausgestatteten Führungskraft angehört, die befähigt und berufen ist, diejenigen Problemlagen zu lösen, auf die das Gesetz keine eindeutige Antwort weiß.

Die besondere Herausforderung bei der „höheren“ Führung besteht also dem Grunde nach nicht in der Ausformulierung von Regelungen für den Normalfall. Diese sind dem Willen des Gesetzgebers zu entnehmen und aus den von ihm gesetzten Normen abzuleiten.

Es geht im Kern um das Treffen von Entscheidungen, gerade dann und dort, wo es keine Musterlösung gibt und wesentlich auch dann, wenn die Befolgung der gesetzlichen Vorgabe zu einer unrechtmäßigen Lösung führen würde.

Machen wir uns noch einmal klar: Militärische Führung ist ihrer Natur nach Entscheidungsfindung in lebensbedrohlichen Lagen, wo höchste und absolute Werte und immer wieder das Recht auf Leben miteinander abgewogen werden müssen. In Situationen also, mit denen sich der Bundesgesetzgeber in Jahrzehnten des Friedens und ohne eigene Zuständigkeit für den Katastrophenschutz nicht beschäftigen musste oder konnte. Nicht von ungefähr zielt der Eid des Soldaten nicht - wie bei den Beamten - auf die Beachtung der Gesetze, sondern auf die Verteidigung des Rechts und der Freiheit des deutschen Volkes insgesamt. Ein solides Verfassungsverständnis und mehr noch: Verfassungspatriotismus sind hierfür unerlässliche Bedingung!


 

Der Offizier

Der Offizierberuf ist ein auf Planen, Entscheiden und Handeln angelegter, zugleich praktischer und geistiger Führungsberuf.

Wesentliches Merkmal dieses Berufes ist unmittelbare, persönliche Menschenführung, auch durch eine gesetzlich postulierte Befähigung zur Wertevermittlung und Erziehung, verbunden mit der besonderen Fähigkeit zur Organisation auf höheren Führungsebenen. Sie schließt die Verantwortung für Gesundheit und Leben anderer ebenso ein wie die Pflicht, von sich und anderen notfalls den Einsatz des Lebens zu verlangen. Dazu muss der Offizier in besonderer Weise geistig, seelisch und körperlich gerüstet sein und über moralische und charakterliche Festigkeit sowie fachliches Können verfügen.

Der Offizier bedarf zur Erfüllung seiner beruflichen Aufgaben einer umfassenden technischen und humanistischen Bildung. Bildung erfordert Engagement über den täglichen Dienst hinaus. Ohne das ständige persönliche Bemühen um Weiterbildung und Entwicklung der Persönlichkeit wird der Offizier seine Aufgaben nicht erfüllen können. Dabei leistet das Studium einen wesentlichen Beitrag für die persönliche Fortentwicklung des Offiziers zum "Organisator" der für seinen Beruf typischen komplexen Aufgabenstellungen. Ein Studium ist deshalb grundsätzlich integraler Bestandteil seiner Ausbildung.

Der Offizier ist der geistige Führer der Armee nach dem Leitbild von Oswald Spengler: „Organisieren heißt befehlen – Geist und Körper trennen sich!“.

Diese nüchterne Aufgabenbeschreibung würde jedoch dem spezifischen Anforderungsprofil nicht gerecht, das den Offizier von den übrigen höheren Führungskräften des Staates unterscheidet – eben seinen besonderen Typus ausmacht.

Die Rede ist vom Bekenntnis zu einem Tugendenkatalog, heute im Gesetz niedergelegt, jedoch immer noch durch einen persönlichen Eid zu bekräftigen und deshalb früher sinniger Weise Ehrenkodex genannt.

Vertrauen erwirbt man durch Zuverlässigkeit, unbedingtes Vertrauen durch Wahrhaftigkeit. „Auf das Ehrenwort eines Offiziers kann man unerschütterlich bauen“, ist ein Sinnspruch, der von dem Bild eines Mannes lebt, der seine  Ehre mit seinem Leben zu verteidigen wusste.

Mehr noch als die Wahrhaftigkeit bildet das Rückgrat eine Kerntugend der Offiziere. Nur wer sich aufgrund eines freien Willens der Loyalität unterwirft, hat das Privileg, dem Vorgesetzten zu widersprechen. Seit jeher bewährt sich auch hier die gehobene Umgangsform als Mittel der Konfliktlösung: „suaviter in modo – fortiter in res“, also stets freundlich im Ton, aber fest in der Sache! Gerade hier zeigt sich die Überlegenheit einer Erziehung zur Höflichkeit, der überlegensten Form der Kommunikation. Niemand hat es besser formuliert, als der Schriftsteller Ralph Waldo Emerson: „Der Ehrenmann ist ein Mann der Wahrheit, Herr über sein eigenes Handeln und fähig, dieses Herrentum in seinem Benehmen zum Ausdruck zu bringen. Er macht sich in keiner Weise abhängig und ist weder Personen noch Meinungen noch dem Reichtum dienstbar“.

Alle diese Tugenden mögen manchem als überkommen oder gar wie ein Anachronismus in einer modernen Armee vorkommen. Doch zuvorderst die Offiziere in den Streitkräften müssen schlussendlich in der Lage sein, Soldaten in extremsten Lagen, umgeben von Schmerz, Leid und Tod, zu führen und dabei stets zu garantieren, dass die moralischen Maßstäbe unserer Zivilisation zu jeder Zeit gewahrt werden.

Wo die Gewalt herrscht, braucht es Tugenden, um die Werte zu verteidigen, für die unser Grundgesetz steht. Und es braucht Führungspersönlichkeiten, die Willens und in der Lage sind, diese auch durchzusetzen.


 

Historische Leitbilder

Dem militärhistorisch Geneigten kommen zum Thema General-/Admiralstabsoffizier stets die Namen Scharnhorst und Moltke in den Sinn. Ersterer, Held bürgerlicher Abkunft, Begründer der Allgemeinen Wehrpflicht und erster Träger des Eisernen Kreuzes mit der Tragik, nie ein eigenes Kommando geführt zu haben, letzterer, das Sprachengenie mit seiner unvergleichlichen Vita und entscheidender Konzeptionär der großen Kriege von 1864, 1866 und 1870/71, aus denen Deutschland in seiner jetzigen Gestalt entstanden ist.

Beide stehen für Persönlichkeiten, denen ihre Überzeugung stets das Wichtigste war und deren Zielstrebigkeit sich im Denken und Schaffen neuer Strukturen erfüllte - gegen den heftigen Widerstand des tradierten Systems. Welch eine Leistung angesichts des unbestrittenen Primats eines Königs, der sein Führertum von der Gnade Gottes ableitete.

Die geistige und persönliche Unabhängigkeit dieser beiden Offiziere macht ihre wahre Größe aus – frei im Denken und in ihrer Meinung niemandem Unteran! Dabei gleichwohl loyal im Befolgen von Befehlen – ihr ganzes Leben lang Diener einer Sache, an die sie unerschütterlich glaubten. Beide lebten ein erfülltes Offiziertum ganz im Sinne von Seneca: „Nicht wer auf Befehl etwas tut, ist unglücklich, sondern wer es gegen seinen Willen tut!“.


 

Kreative Kommunikation

Ausgehend von den aufgeführten, den Offizier und die höhere Führung allgemein prägenden bzw. beeinflussenden Rahmenbedingungen lassen sich erste Folgerungen für den Offizier im General-/Admiralstabsoffizier ableiten.

Der Generalstabsoffizier ist höherer Offizier der Streitkräfte, mithin Angehöriger der höchsten Führungsebene. Als solcher ist er berufen, Verantwortung zu tragen für den Einsatz militärischer Gewalt auf einer Ebene, die in Kategorien von Großverbänden und von „schweren“ Waffensystemen bis hin zu Nuklearwaffen zu denken bestimmt ist. Als Vorgesetzter ist er Führer, Ausbilder und Erzieher, mit Befehlsgewalt ausgestattet, verbunden mit der ungeteilten Macht und Verantwortung, die Inbegriff der militärischen Führung ist. Als Angehöriger eines Stabes oder des Ministeriums wird der General-/
Admiralstabsoffizier als beratende Fachkraft für ein spezialisiertes Organisationselement verwendet mit dem Anspruch, in ganzheitlichen Ansätzen, also unter Berücksichtigung auch fachfremder Belange zu denken.

Ganzheitliches Denken, also die Fähigkeit der Berücksichtigung verschiedenster Lösungsansätze und Sichtweisen, erforderlichenfalls unter Aufgabe des eigenen Standpunktes zugunsten eines übergeordneten Interesses macht wahrscheinlich den General-/Admiralstabsoffizier in seinem Wesen aus. Dies macht ein Denken in wissenschaftlichen Kategorien zwingend: Der Prozess, zu jeder These die Antithese zu suchen und jedes gefundene Prinzip bis in seine letzten Grenzen hin auszutesten. Bei den Geisteswissenschaften ist dabei der Diskurs, die gegenläufige Diskussion ein zwingendes Erfordernis.

Dies verlangt ganz konkret die Fähigkeit, auch entgegengesetzte Sichtweisen als Gewinn zu betrachten – eben als geistreich. Kreativität ist mehr als Erfahrung, nämlich der angeregte Gedanke. Und die beste Form, kreatives Denken im Diskurs zu bewerkstelligen, ist persönliche Kommunikation. Darin liegt sicher auch künftig die Überlegenheit des Menschen vor der Maschine, in seiner Fähigkeit, in einem von allen Sinnen wahrgenommenen persönlichen Gespräch nicht nur Informationen übermitteln, sondern gleichzeitig Emotionen und Gedanken austauschen und anregen zu können. Eine Organisation, die nur noch elektronisch kommuniziert, verliert demgegenüber wesentliche Fähigkeiten zur Menschenführung. Eine Entwicklung, die vielerorts in den Streitkräften zu spüren ist. Eine ausgeprägte Neigung und Fähigkeit, ja der Wille zur persönlichen Kommunikation sind demgegenüber die Grundpfeiler für den Erfolg generalstabsmäßiger Arbeit.


 

Verwalter oder Gestalter

Das Gute ist der Feind des Besseren! Wie wahr dieser Grundsatz leider ist, zeigt sich an der überall feststellbaren Neigung älterer Systeme, an Bewährtem festzuhalten und erst beim Auftreten von Mängeln oder Mißständen aktiv zu werden. Es ist eben ganz menschlich, der Gewohnheit zu folgen, wo kein Zwang zu Veränderungen erkennbar ist. Aufgabe der Sicherheitsorgane ist es jedoch, Gefahren abzuwehren, bevor sie sich realisiert haben, also schneller und erfolgreicher zu sein, als der Träger des Schädigungspotentials. Wer aus rechtsstaatlichen Gründen erst in dem Moment hoheitlich, also mit Zwang eingreifen kann, wenn die Gefahr gegenwärtig ist, muss alles daran setzen, genau dann auch das Überlegene, also am beste geeignete Mittel zur Abwehr zu besitzen.

Um dieses Ziel zu erreichen braucht es Freiheit im Denken! Jedes Tabu im Denken ist hinderlich, denn alle inakzeptablen Lösungen können erst im alle Kriterien umfassenden konzeptionellen Denkprozess ausgeschlossen werden. Und gerade deshalb muss gelten: Wo Sicherheitsfragen betroffen sind, bedarf es stets und immerwährend der Vertraulichkeit, sowohl bei der Erkenntnisgewinnung und den konzeptionellen Überlegungen, als auch bei der Ausplanung von Lösungsansätzen. Gerade dies macht auch den tieferen Sinn militärischer Geheimhaltung aus:

Den Staat auch als Träger des Gewaltmonopols jederzeit vollumfassend handlungsfähig zu erhalten.

Auf diese Weise die Systeme der Bundeswehr immerwährend und innovativ auf ihre verfassungsmäßigen und politischen Zielvorgaben hin auf den Prüfstand zu stellen, bedeutet also nicht Insubordination, sondern ist gleichsam Inbegriff des treuen Dienens durch diejenigen, die dazu berufen, ausgebildet und befähigt sind.


 

Zusammenfassung

Dem Vorgesagten folgend kann man abschließend das Ethos des General-/
Admiralstabsoffiziers als Leitbild eines Charakters beschreiben, der sich versteht als

-        Offizier und damit Willensmensch, auf aktives Handeln und auf die Übernahme von Verantwortung hin ausgerichtet

-        zuvorderst seinem Eid verpflichtet, Recht und Freiheit des deutschen Volkes tapfer zu verteidigen, wie es das Soldatengesetz von ihm fordert,

-        Bewahrer der Werte des Grundgesetzes und Verfassungspatriot als berufener Garant der freiheitlich-demokratischen Grundordnung,

-        Führer kraft eigenständiger und unabhängiger Persönlichkeit von Ehre, dessen Führungsanspruch sich aus einer natürlichen Autorität ergibt,

-        stringenter Analytiker mit Wißbegierde, innovatives und kreatives Kommunikationstalent aus Neigung und

vor allem anderen von dem Streben beseelt, das Undenkbare zu denken.