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Das Vorschriftenwesen

Leider stellt sich jedoch „übergeordnete Führung“ heutzutage oftmals wenig lagebezogen dar.

Im Kern geht die Problematik vom Glauben der politischen Entscheidungsträger auch innerhalb der Ministerien aus, jegliche Gefahr von vorneherein durch die Formulierung allgemeiner Regelungen abwenden zu können. Eine Dialektik mit Folgen: Da die Gefahr ja durch eine Vorschrift gebannt worden ist, bedarf es auch keiner Vorkehrungen mehr für den Fall, dass sich die Gefahr jemals realisieren könnte. Tritt dennoch eine Gefahrenlage ein, hat es an einer entsprechenden, diese vermeidenden Regelung gefehlt. Ein Missstand, der natürlich umgehend behoben werden muss!

Vorschriftenwut und Vorschriftengläubigkeit sind die überall gegenwärtigen Kennzeichen der Sicherheitspolitik auf allen Ebenen staatlichen Handelns geworden. Die auf Bundesebene nahezu unübertroffene Neigung gerade des Verteidigungsministeriums zur vorrangigen Problembeseitigung mittels Dienstvorschriften korrespondiert dabei mit der dritten, verhängnisvoll falschen Schlussfolgerung, Fehler könnten durch die Befolgung von Vorschriften vermieden werden.

Wohin dies führt, lässt sich an vielen Beispielen aus dem Auslandseinsatz der Bundeswehr in Afghanistan verfolgen. Bundesweit bekannt geworden ist die anfängliche Entscheidung der Führung vor Ort, dem vorschriftgemäßen Erfordernis einer Abgassonderuntersuchung für die Fahrzeuge den Vorrang vor der Auftragserfüllung mittels Einsatz von nicht untersuchten Fahrzeugen zu geben. Schon etwas problematischer ist der Fall zu bewerten, in welchem Soldaten unter Hinweis auf die entsprechenden technischen Dienstvorschriften verboten wurde, sich mittels Anbringen von Schutzgittern an den Windschutzscheiben vor Steinwurf zu schützen. Der Hinweis, damit würde die Sicherheit der Soldaten erhöht, blieb vor dem Argument „Die Vorschrift lässt keine Ausnahmen zu“ erfolglos.

Dass der uralte Leitspruch „Vorschriften sind für Offiziere nicht gemacht – Offiziere machen Vorschriften“ offensichtlich in Vergessenheit geraten ist, macht deutlich, dass ein Bedarf an Entscheidungsträgern besteht, die in der Lage sind, eine Güterabwägung so zu treffen, wie es das Grundgesetz vorsieht, um dem ranghöheren Wert Geltung zu verschaffen. Oder die den Rang der Werte „Einsatzbereitschaft der Truppe“ und „Recht auf körperliche Unversehrtheit der unterstellten Soldaten“ richtig einordnen können.

Und mehr noch: es bedarf einer höheren Führung, die auf die Fähigkeiten der Truppe vertraut, sich auf die Formulierung ihrer Zielvorgaben in Auftragsform beschränkt und ihre Absicht so klar formuliert, dass der Führer vor Ort die Prämissen für seine Lagebeurteilung stringent daraus ableiten kann.