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Die Welt schickte Soldaten aus 44 Nationen nach Afghanistan, wo sich die Spuren schmutziger Kriege schichten wie Sedimente. Wo afghanische Warlords, korrupte Geheimdienstoffiziere, pakistanische Waffenhändler und iranische Drogenkuriere ihre dreckigen Spielchen spielen. Und wo Kai Rohrschneider, der Deutsche, sauber bleiben soll. Er sagt: »Wir haben keinen Grund, unzufrieden zu sein. Die Modernisierung einer Gesellschaft ist immer ein schwieriger Prozess.«
Kai Rohrschneider, ein Kommandeur, der mehr als tausend Soldaten befehligt, sich aber mit Worten nicht aus der Deckung wagt. Georg Klein, ein Kommandeur, der die Menschen in der Heimat erst aufschreckt, als er mehr als hundert Menschen tötet. Wer das Drama dieses Einsatzes verstehen will, wer begreifen will, wie es so weit kommen konnte, muss sich die ungehörten Geschichten seiner Vorgänger anhören, die Geschichte der Kommandeure von Kundus. Es ist die Geschichte von Männern, die diesen Krieg verwalten müssen, ohne ihn führen zu dürfen – die Geschichte einer Täuschung und Selbsttäuschung.
In einem abgeschiedenen Dorf bei Bad Honnef hat Christian Meyer in einem kleinen Gasthof einen Tisch reserviert. »So gelegen, dass wir ein ungestörtes Gespräch führen können«, hat er in einer E-Mail geschrieben. Er ist pünktlich. Oberst Meyer, groß, schlank, die Haare streng gescheitelt, Krawatte, Jackett. Den Rücken hat er durchgedrückt, den Blick auf einen Stapel Papier gerichtet. In der Bundeswehrzeitung Aktuell haben sie diese Meldung über ihn gebracht, Überschrift Abgelöst . Ein Artikel, der ihn wie einen Versager wirken ließ. »Ich habe aber nichts Unehrenhaftes getan«, sagt Meyer. »Ich war Kommandeur in Kundus.«
Kommandeur Meyer glaubt noch an einen sauberen Krieg
Meyer bestellt ein Glas Rotwein und beginnt mit seinem Vortrag. Viele Seiten hat er vollgeschrieben, allein für diesen Abend. Von den Wänden schauen tote Hirsche auf ihn herab.
Schon als er im Juli des Jahres 2008 das Feldlager übernahm, kam er mit einem Haufen Papier dort an, 17 eng bedruckte Seiten, mit Fußnoten: sein Konzept für Kundus. Als ein Abteilungsleiter im Auswärtigen Amt in Berlin davon erfuhr, sagte er zu einem seiner Kollegen: »Was hat der geschrieben? Ein Konzept für Afghanistan? Der muss verrückt sein. Niemand hier hat ein Konzept für Afghanistan.«
Oberst Meyer unterrichtet an der Verwaltungshochschule Speyer zivilen Wiederaufbau, einige Offiziere nennen ihn deswegen spöttisch »den Professor«. Er hat sich mit dem Vietnamkrieg beschäftigt und sich in ein Buch über den Kampf gegen Partisanen vertieft: Learning to Eat Soup with a Knife . Lernen, wie man Suppe mit dem Messer isst. Wie seine Vorgänger in Kundus glaubt auch er von Anfang an nicht an einen Sieg mit militärischen Mitteln. Er glaubt, dass die Bundeswehr nur gewinnen könne, wenn sie die afghanische Bevölkerung hinter sich bringe. Er glaubt an Strommasten, nicht an Scharfschützen. »Kollateralschäden darf es nicht geben«, sagt Meyer. Er ist überzeugt von den Rules Of Engagement, dem Leitfaden der Isaf-Soldaten. Wir schützen den Wiederaufbau des Landes, so ist die Linie, wir jagen nicht die Taliban. Der Krieg, den Meyer führen will, ist ein deutscher Krieg. Er kommt ohne Panzerhaubitzen aus, ohne Feinde. Es ist ein sauberer Krieg, ein Werbefeldzug um die Herzen der Menschen.
Als Meyer in Kundus ankommt, passt das Land zu seinem Konzept. Der Kommandeur weiht neu gebaute Schulen und Gesundheitszentren ein, niemand schießt auf seine Soldaten. Eine Lagerhalle für Zwiebeln könnte Kundus gut gebrauchen, denkt Meyer. Er hat große Ziele. Er besorgt sich einen deutsch-afghanischen Koran und heuert einen Lehrer an, der ihm die Suren erklärt. »Der Koran erlaubt keine Korruption«, sagt Meyer manchmal, wenn er mit Provinzräten spricht, und die Afghanen sagen verwundert: »Jetzt haben uns die Deutschen einen Mullah geschickt.«
Meyer isst mit mächtigen Paschtunen zu Abend, diskutiert mit Imamen, notiert sich die Wünsche von Bürgermeistern: Medikamente, Brunnen, Strom. Aber die Wirklichkeit verträgt sich nicht mit seinen Ideen. Er hat ein eigenes Budget von 40.000 Dollar zur Verfügung, 40.000 Dollar für vier Monate, das reicht für kaum mehr als leere Versprechungen. Meyer kann die Wünsche der Afghanen bloß an die großen Organisationen melden, die Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit und das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit, die in langwierigen Verfahren über die Anträge entscheiden. Ein Kraftwerk, das begreifen die Afghanen schnell, baut ihnen der Deutsche nicht. Er kommt ihnen vor wie ein König ohne Land. Die Afghanen, die aussehen wie Zivilisten, denken in Kategorien des Krieges. Die Deutschen, die aussehen wie Krieger, denken in Kategorien des Friedens. Die Afghanen haben schon viele Kommandeure kommen und gehen sehen, und sie tun sich immer schwerer, die Fremden mit den großen Notizblöcken noch ernst zu nehmen.