Neustart zum 23.05.2020: Wir sind wieder online und überarbeiten die Inhalte!

Beitragsseiten

Noch heute, im Gasthof, sagt er: »Mit meinen Gefühlen bin ich noch nicht wieder in Deutschland angekommen.« Und noch heute will die Bundeswehr zum Fall Meyer nicht Stellung nehmen. Von nun an wird Meyer immer neue E-Mails und Briefe an die ZEIT schicken, fett gedruckte Richtigstellungen, kursiv gedruckte Anschuldigungen, die Feldpost eines schwer Verletzten.

Kundus ließ Meyer in einen Ausnahmezustand geraten. Nachdem draußen wieder ein Sprengsatz detoniert ist, fragt Meyer einen zurückkehrenden Soldaten: »Na, Bombenstimmung heute?« Er muss wahnsinnig geworden sein, glauben einige Offiziere. Aber vielleicht ist er nicht wahnsinniger als die Situation der Armee in Kundus. Christian Meyer verliert die Kontrolle, als die Truppe ihre Richtung verliert. Was soll sie in Afghanistan bewirken? Rebellen festnehmen? Brunnenlöcher bohren? Beides zugleich?

Nur wenige Tage nach dem Tod des Soldaten im Geländewagen soll der Verteidigungsminister in Kundus eintreffen. Meyer will eine kleine Ansprache halten. Aber als er morgens in sein Büro kommt, steht da schon Brigadegeneral Weigt und sagt: »Ich löse Sie von Ihrem Dienstposten ab.«

Meyer bittet den General, sich von seiner Truppe offiziell verabschieden zu dürfen. Doch der General muss fürchten, dass ihm Meyer im Beisein des Ministers die Schuld am Tod eines Soldaten gibt. Weigt sagt ihm, dass er im Stabsbereich nichts mehr verloren habe, und Meyer geht auf seine Stube. Als er noch einmal in sein Büro läuft, um seine Dienstpistole zu holen, ist der Waffenschrank schon ausgeräumt. Auch sein Sturmgewehr ist weg. Stunden später sind alle seine Daten auf dem Computer gelöscht, auch sein warnender Brief an den General. In den Tagen danach befragt dessen Stellvertreter die Soldaten nach Meyers Führungsverhalten, ein Aktenordner voller Zeugenprotokolle und dienstlicher Erklärungen. So etwas hat es in Kundus noch nie gegeben.

Jetzt sitzt er da, ein geschasster Kommandeur unter Hirschgeweihen, und er sagt, er habe sich einen Rechtsanwalt genommen. Er habe den Soldaten, die über ihn aussagten, geschrieben, seinem Ermittler auch, er rufe sie immer wieder an, aber selbst auf der Großen Kommandeurstagung habe man ihn geschnitten. Meyer will seine Biografie aus den Trümmern von Kundus retten. Er sagt, er fühle sich manchmal wie Oberst Klein, genauso allein gelassen. Die Bundeswehr hat Meyer in einer Abteilung für ausländische Katastrophenhilfe versteckt: Schneechaos, Brände – es ist die kleinste Abteilung der ganzen Heeresführung.

Herr Meyer, was haben Sie in Kundus erreicht?

»Ein paar Schulen habe ich eingeweiht, das war’s.«

Gibt es einen Kommandeur, der mehr erreicht hat?

»Ich kenne keinen.«