Neustart zum 23.05.2020: Wir sind wieder online und überarbeiten die Inhalte!

Beitragsseiten

Buske sieht, wie die Wucht der Explosion den Mann auf dem Rad in Stücke reißt. Ein Laster fängt Feuer, die Hitze lässt die Munition in seinem Inneren hochgehen. Buske weiß, dass im Führerhaus noch zwei seiner Männer sind. Seine Leute wollen hin, aber er hält sie zurück. Dann rennt er selbst los, gemeinsam mit einer Sanitäterin. Sie bergen nur noch zwei Tote.

Am Ende legen seine Soldaten fünf Kinderleichen und die Überreste der beiden Toten ins verkohlte Gras am Straßenrand. Buske hyperventiliert, das Schlachtfeld brennt sich ihm ein: das aufgerissene Dach des Lasters, Gliedmaßen, blutverschmierte Plastiksandalen. Die Reste des Fahrrads.

»Ich hätte einfach weiterfahren können«, sagt Buske jetzt in London.

Als er damals zurück ins Lager kommt, funktioniert er wie mechanisch. Potsdam will Details. Der Verteidigungsminister ebenfalls. Dann sammelt Buske sich und wählt 06332, die Vorwahl für Zweibrücken, Heimat der Gefallenen. »Herr Behlke, hier spricht Kommandeur Buske aus Kundus. Ihr Sohn…«

Schweigen am Ende der Leitung.

Drei Tage später steht Buske auf dem Appellplatz in Kundus, vor ihm die Zinksärge, eingehüllt in die deutsche Flagge, zwei Helme, das Kondolenzbuch. Zwei Staatssekretäre sind da, der Brigadegeneral, alle Soldaten, das gesamte Lager.

Es ist Buskes erste Trauerfeier. Er lässt Tears in Heaven von Eric Clapton spielen. Buske tritt hinter das Rednerpult, strafft sich, neben ihm die Fotos der beiden Toten. »Gemeinsam mit ihren Fallschirmjägerkameraden haben sie Nacht für Nacht für unsere Sicherheit gesorgt«, beginnt er. »Stabsunteroffizier Patrick Behlke und Stabsgefreiter Roman Schmidt.«

Behlke und Schmidt, 25 und 22 Jahre alt.

»Ich hätte es verhindern müssen«, sagt Buske ins Mikrofon, da laufen ihm schon die Tränen über das Gesicht. Am Ende bricht seine Stimme, er fragt: »War es das wert?«

Als Buske ankam in Kundus, da erfuhr er schon bald, dass der Gouverneur Regierungsmitgliedern 200.000 Dollar für sein Amt bezahlt habe. Dass die afghanischen Richter nicht lesen und schreiben können und ihre Urteile Verhandlungssache sind. Dass die ersten Schulen schon wieder schließen, dass es in manchen Bezirken keine Polizisten gibt. Dass es an Ärzten und Lehrern fehlt.

Wo, fragt Buske sich, ist das zivile Gegenstück zum Militär? Wo sind deutsche Richter, deutsche Polizisten?

400 Polizistenausbilder haben die Deutschen für ganz Afghanistan versprochen, aber jetzt gibt es in Kundus ganze vier. Und das Geld, das Berlin schickt, versickert irgendwo zwischen Kabul und Kundus.

Immer wieder muss Buske den Bürgermeistern erklären, warum die Brücke über den Kundus-Fluss immer noch nicht gebaut wurde. Das Wasserkraftwerk. Die Hauptstraße. »Ich leite das Gesuch an die zuständigen Stellen weiter«, sagt er. »Vielleicht nächsten Monat.«

Es ist, als ob er in Kundus die Zeit absitzt. Als ob man in Deutschland vergessen hat, warum man hier ist.

Buskes Spielraum wird immer enger. Die Taliban zwingen die Afghanen zur Kollaboration, die Wracks der zersprengten Fahrzeuge abseits des Paradeplatzes häufen sich und werden nicht ersetzt. Von seinen Soldaten dürfen nur 200 auf Patrouille. 200 für eine Provinz mit 770.000 Einwohnern. Immer wieder fordert Buske mehr Truppen an, mehr Ausbilder für das afghanische Militär.

Am Ende hat Buske nicht einen Terroristen festgenommen. Er hat kein einziges Waffenlager ausgehoben. Aber 50 Meter von Buskes Gefechtsstand mitten im Lager zerfetzt eine Rakete das Gästehaus. 70 Raketenangriffe zählen sie, 15 Selbstmordattentäter draußen, wöchentlich einen Sprengstoffanschlag.

Buske tut das Einzige, was in seiner Macht steht: Er verstärkt das Lager mit schweren Wällen, verstärkt Außenwände und Unterkünfte. Er zieht den Schutzwall immer höher. Die Deutschen in Kundus halten jetzt still wie eine Maus in der Falle. Sie, die den Afghanen Schutz versprochen haben, sind nur noch damit beschäftigt, sich selbst zu schützen.

Zurück in Deutschland, macht der Kommandeur eine Therapie

Als Buske aus Kundus zurückkehrt, lässt ihn die Erinnerung an das verbrannte Fleisch nicht los. Die Fragen nach seiner Verantwortung, seiner Schuld. Sieben Wochen lang schweigt er, bis er das erste Mal mit seiner Frau darüber sprechen kann. Er macht eine Therapie an der Nordsee.

»Schon irrational«, sagt er. »Dass mich der Tod im Krieg so überrascht hat.« Es fällt ihm immer noch schwer, über die Zeit in Kundus zu sprechen. Doch manchmal muss er jetzt Vorträge halten über das Lager. Weil Oberst Klein ausfällt, buchen sie ihn.

Klein tue ihm leid, sagt Buske. Klein habe abgenommen, er sei schlagartig gealtert, erzählen sich die Kommandeure. Klein gehe kaum mehr aus dem Haus, seine Kinder litten in der Schule. Klein ist jetzt ein Symbol. Für all das, was zu einem Krieg dazugehört: Verhängnis, Schuld und Tod.